Broch ist einer der letzten Polyhistoren, ein Intellektueller, der
sich - was kaum jemand im 20. Jahrhundert noch wagt - in den unterschiedlichsten
Gebieten der Philosophie, Soziologie, Literatur, Kunstgeschichte, theoretischen
Physik, Mathematik und Psychologie umtut. Für den Beruf des Romanciers
hat er sich entschieden, weil er im modernen Roman das Medium sieht, in
dem er ein Maximum der Ergebnisse aus diesen Wissensgebieten verarbeiten
oder synthetisieren kann. Gleichzeitig reflektiert er über die Wirksamkeit
von Dichtung und bleibt ein Leben lang ein Autor, der sich über die
Relativität und Indirektheit literarischer Wirkung im Klaren bleibt.
So wechselt er, je nach Intention, die Medien, versucht sich als Essayist
in Gebieten wie Literaturtheorie, Literaturkritik, Politik (Theorie der
Demokratie), Jura (Menschenrechte), Massenpsychologie, Kulturkritik, Erkenntnistheorie.
Von der Rezeption her gesehen, sind es vor allem die Romane (besonders
Die
Schlafwandler und Der Tod des Vergil), die Brochs Ruhm begründet
haben. Es ist die Literaturwissenchaft, vornehmlich die Germanistik, die
immer wieder von seinen dichterischen Arbeiten fasziniert ist und über
die Jahrzehnte hin (die Brochforschung ist ein halbes Jahrhundert alt)
in einer erstaunlichen Vielfalt von Disserationen, Büchern, Editionen
und Artikeln sein Werk immer wieder neu interpretiert hat. Zur Intensivierung
der internationalen Forschung will der IAB beitragen.
Broch wuchs in Wien auf, leitete zwanzig Jahre lang die Textilfabrik
seiner Familie, begann 1927 mit dem Leben als freier Schriftsteller, musste
als Jude nach dem "Anschluss" von 1938 aus Österreich fliehen. Er
emigrierte im gleichen Jahr in die USA, wo er während der ersten Jahre
vor allem in New York lebte. 1942 wurde er Untermieter seines Freundes
Erich von Kahler in Princeton, eines exilierten Schicksalsgenossen. 1949
siedelte Broch nach einem längeren Krankenhaus-Aufenthalt über
nach New Haven, Connecticut, wo er Kontakte zur Fakultät der Yale
University hatte, besonders zum dortigen German Department. 1951 erlag
er in New Haven einem Herzschlag. Brochs Werk erschien in siebzehn Bänden,
herausgegeben von Paul Michael Lützeler, zwischen 1974 und 1981 im
Suhrkamp Verlag in Frankfurt am Main. Lützeler schrieb auch die im
gleichen Verlag publizierte Broch-Biographie, die auch auf Englisch, Spanisch
und Japanisch erschienen ist. |